von Markus Schröder
Hinweise auf Kornkreise in der Literatur - ein bisher noch nicht untersuchter Aspekt in der Kornkreisforschung. Markus Schröder geht in den Werken von Thomas Hardy auf die Suche nach Hinweisen auf die Spuren im Korn...Unsere Auseinandersetzung mit Kornkreisen hat einen schönen Nebeneffekt. Sie führt dazu, daß wir neue Interessen entdecken und auf Aspekte des gemeinschaftlichen und kulturellen Lebens stoßen, die wir womöglich sonst nicht beachtet hätten. Einen dieser "Funde" möchte ich Ihnen an dieser Stelle nahebringen.
In der amerikanischen Literatur gibt es eine Gattung, die sich Landschaftsliteratur nennt, weil die Hauptpersonen - wenn man davon sprechen kann - nicht die handelnden Menschen sind, sondern die Natur, insbesondere die Landschaft. Sie drückt symbolisch die besonderen Eigenschaften, Stärken und Schwächen der in ihr wohnenden Menschen aus. Natürlich haben die Amerikaner dazu ein besonderes Verhältnis, bedingt durch die "Eroberung" des Kontinents durch die frühen Siedler, für die das Wort "Natur" viele negative Assoziationen hatte. Die ungebändigte, wilde Natur läßt viel Spielraum für Charakterdarstellung. In England sieht das ebenso wie in Kontinentaleuropa schon schwieriger aus. Man stelle sich nur einmal die landschaftliche Symbolik von Michael Blakes "Der mit dem Wolf tanzt" vor oder die Filmversion mit Kevin Costner. Transferieren Sie diese nach England: "Der das Croquett-Tor bezwingt", "Der die Rosen kultiviert"?
Ein Schriftsteller hat sich jedoch der Aufgabe der Landschaftsliteratur angenommen. Anders als die meisten Kollegen kommt er aus dem Teil Englands, das noch vor einigen Jahrzehnten rauh und fremd war und sich dem Industriellen Zeitalter zu verschließen schien. Die Salisbury Plains und das Gebiet südlich davon waren Weideland. Dort, wo die Weiden weniger wurden, ging das Gebiet in Heide- und Moorlandschaft über. Es war ein karges Gebiet, in dem niemand durch die Landwirtschaft reich werden konnte, aber viele in schlechten Jahren hungerten, und schlechte Jahre gab es genug. Thomas Hardy nannte das ganze Gebiet Wessex. Sein Wessex erstreckte sich von Bristol und Oxford im Norden nach Exeter im Westen und Aldershot im Osten. Im Süden bildete der Ärmelkanal von Southampton bis Plymouth die Grenze. Die meisten Handlungen spielen in dem Dreieck Bristol - Reading - Bournemouth und damit direkt und indirekt im Kornkreisgebiet. Daraus ergibt sich für einen "Croppie" natürlich eine Frage: Wenn Hardy in seinen Romanen über die Landschaft Südenglands und die dortigen Farmer schrieb und die Kornkreise tatsächlich so alt sind, wie einige Indizien andeuten (alte Stiche des Kreise mähenden Teufels; Märchen Südenglands und Angeins usw.), hat Hardy dann offen oder verschlüsselt von Kornkreisen berichtet?
Thomas Hardy kommt aus einer alten englischen Familie, die mindestens seit dem l6. Jahrhundert in Dorsetshire wohnt. Er selbst wurde am 2. Juni 1840 geboren. Mit sechzehn begann Hardy eine Ausbildung als Architekt und ging mit 22 nach London, um Architektur zu studieren. Als Architekt bekam Hardy mehrere Preise und seine erste Veröffentlichung als Schriftsteller war - weniger überraschend - "How I built myself a house" ("Wie ich mir ein Haus baute"). 1867 kehrte Hardy als Architekt in seine Heimat zurück. Sein erster Roman wurde von den Verlagen abgelehnt, aber Hardys Potential wurde erkannt, so daß er von einigen Verlagen gute Ratschläge für die Schriftstellerei erhielt. 1871 erschien sein erster Roman Desperate Remedies, ein Jahr später Under the Greenwood Tree. Nach der Veröffentlichung des dritten Romans A Pair of Blue Eyes (dt.: Blaue Augen und Ein Paar blauer Augen) 1873 gab er die Architektur auf. 1874 heiratete Hardy Emma Gifford und sein letzter fröhlicher Landschaftsroman Far from the Madding Crowd (dt.: Madding Crowd und Weit weg von der wilden Meute) erschien. Hardys Romane wurden düsterer, die Handlungen sentimentaler und melancholischer. Die Ängste und Nöte der Farmer Südenglands und Kritik an viktorianischer Moral bestimmten die Werke. Sein bekanntester Roman Tess of the d'Urbervilles (dt.: Tess von den d'Urbervilles und Tess) 1891 löste eine Welle der Empörung aus. Die Hauptfigur Tess wird als naives Mädchen vom Lande skrupellos von Großgrundbesitzern und Pfarrern ausgenutzt und schließlich von Kirche und Gesellschaft fallengelassen. Als 1895 der autobiographisch geprägte Roman Jude the Obscure (dt.: Herzen in Aufruhr) erschien, in dem Hardy sich gegen die herrschende Moral wandte und unter anderem zu "wilder Ehe" aufrief, war die Kritik so stark, daß er fortan nur noch Gedichte veröffentlichte. Die Kritik an seinen späten Romanen führte dazu, daß Hardy in England zu Lebzeiten unter Kritikern nicht viel Beachtung fand. Mit der Veröffentlichung von Gedichten stieg Hardys Ansehen. 1909 wurde ihm der Order of Merit, das englische Äquivalent zum Bundesverdienstkreuz, verliehen. 1910 erhielt Hardy die Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt Dorchester, er bekam Ehrentitel der Universitäten von Oxford und Cambridge sowie die Goldmedaille des britischen Schriftstellerverbandes verliehen. Als Hardy 1928 starb, trugen u.a. Rudyard Kipling (Das Dschungelbuch) und Literaturnobelpreisträger George B. Shaw (Pygmalion, die Vorlage für My Fair Lady) seine Bahre.
Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Themen und Handlungsorte in den Romanen, kann die Suche nach Kornkreisen in den Büchern auf einige Werke beschränkt werden. Das sind die pastoralen Romane, sowie Werke, die in Wiltshire spielen, das bei Hardy Mid-Wessex heißt. Die pastoralen Romane Under the Greenwood Tree, The Mayor of Casterbridge (dt.: Der Bürgermeister von Casterbridge) und Far from the Madding Crowd enthalten ebensowenig direkte Hinweise auf Kornkreise wie die Mid-Wessex Romane The Hand of Ethelberta, Two on a Tower und Jude the Obscure sowie die Kurzgeschichte "What the Shepherd Saw". Es ist allerdings nicht so einfach, Hinweise auf Kornkreise in Romanen zu erkennen. Genausowenig wie wir heute wissen, woher die Kornkreise kommen, wird Hardy es gewußt haben. Er wird also kein Gespräch zwischen zwei Farmern wiedergeben, das eindeutig ist.
"Schöner Tag heute, Henchard."
"Nicht für mich, Masters."
"Was trübt dein Wohl, Nachbar."
"Oh, ich hatte wieder zwei Insektogramme in
meinem östlichen Feld."
Wahrscheinlicher ist, daß der Hintergrund der Kornkreise nicht genau erkannt und mit bekannten Phänomenen in Zusammenhang gestellt wird. Hierbei besteht aber die Gefahr, daß Situationen überbewertet werden. Aufmerksam sollte ein Leser werden, der folgende Situationen vorfindet.
"Holla, Nachbar Henchard. Schon so früh unterwegs?"
"Auf dem Weg nach Weydon Priors [1], Masters. Einen neuen Hund kaufen."
"Eine traurige Sache, Nachbar. Dein Hütehund war so ein intelligentes Tier."
"Jaja, die Tollwut kann jeden erwischen. Es war kein schöner Anblick, als er wie wild am Rain auf und ab lief. Und erst der Schaden im Feld. Das Tier ist immer wieder im Kreis herumgelaufen. Ich möchte nur wissen, was es zu jagen glaubte."
"Ein Jammer, daß du ihn erschießen mußtest."
Bei einem solchen Dialog wird der Kornkreisforscher aufmerksam. Aber ist es richtig, sofort Schlüsse in eine bestimmte Richtung zu formulieren? Wie schnell eine Interpretation weit am Thema vorbeisegeln kann, möchte ich im Anschluß an einem Gedicht von Thomas Hardy demonstrieren. Bislang steht nur fest, daß Hardy nicht direkt über Kornkreise berichtet hat. Die Auswertung seiner Romane dauert jedoch an und weitere Autoren sowie südenglische Sagen und Märchen sollen folgen.
Doch auch wenn das Ergebnis in bezug auf die Kornkreise negativ bleibt, gibt es mindestens ein positives Ergebnis. Vielleicht gewinnt einer der besten tragischen Schriftsteller Englands neue Leser und Freunde seiner Landschaftsbeschreibung. Die Beschreibung von Stonehenge in Tess of the d'Urbervilles gilt als die beste in der englischen Literatur und wem die Zeit fehlt, ins Land der Kornkreise zu reisen, kann dies in den Büchern zumindest geistig tun, und so mit den Charakteren der Romane von Salisbury nach Andover wandern oder im Gewittersturm in Stonehenge oder am Devil's Den stehen.
Wie schnell es gehen kann, daß aus einem netten Gedicht ein Aufruf zum Fälschen von Kornkreisen wird, zeigt die folgende Analyse. Jeder sieht, was er sehen will. Das gilt nicht nur für Gedichte...
In Front of the Landscape
Plunging and labouring on in a tide of visions,
Dolorous and dear,
Forward I pushed my way as amid waste waters
Stretching around,
through whose eddies there glimmered
the customed landscape
Yonder and near.
Vor der Landschaft
Hineinstürzend und arbeitend in einer Welle
von Visionen,
Lieb und teuer,
Treibe ich meinen Weg vorwärts,
als ob mächtige Wasser
sich um mich herum ausdehnen,
Durch deren Strudel dort die gemachte Landschaft
scheint,
nah und fern.[2]
Betrachten wir das Gedicht einmal ganz nüchtern literaturtheoretisch von einem werkimmanenten dekonstruktivistischen Ansatz aus. Die Marginalisierung der Hoaxer wird durch diese überzeugende Darstellung in einem selbstreflexiven Diskurs dekonstruiert und als phallozentrische Vision patriarchalischer Oppression entlarvt - nicht deutlich und prägnant sondern durch martialisch-insultativer Deskription femininer Symbolik. Um sich in seiner sozialen Gruppe nicht als solidarisch mit der angesprochenen Minorität zu outen, läßt Hardy die konkreten Sprachhandlungen mittels metafiktionaler Historiographie zu einem Abstraktum werden, das subjektive Realität als pseudo-objektives Ich im Jetzt reflektiert.
Deutlicher kann Hardy nicht ausdrücken, wie sich der Hoaxer bei seiner Arbeit fühlt. Von einer Treckerspur oder dem Feldrand stürzt sich der Fälscher mit seiner Vision eines Piktogramms in das Feld. Er ist mit Herz bei der Sache, Feuer und Flamme für seine tückische Tat, die ihm lieb und teuer ist. Von dem Anfangspunkt ausgehend beginnt ein böses Spiel. Die Formen werden erbarmungslos in das schutzlose Getreide getreten, den Weg vorwärts treibend. Das wogende Getreide wirkt wie ein See oder ein Meer, durch das sich der Fälscher kämpft. Stärkstes Indiz für die skrupellose Schauerlichkeit zeigt sich in der Beschreibung Strudel. Sofort werden Assoziationen zu Kornkreisen hergestellt, die verwirbelt im Feld liegen. Das es hierbei tatsächlich um Getreide und nicht um Wasser geht, verdeutlicht der Titel des Gedichtes. Ergebnis der Analyse: Wir wissen zwar nicht, ob es damals Kornkreise gegeben hat, aber wir wissen das Hardy ein Fälscher war.
Erinnert Sie das an etwas?
Bibliographie
Hardys Romane nach Erstveröffentlichung, die literarisch wichtigsten Werke sind unterstrichen:
Desperate Remedies (1871), Under the Greenwood Tree (1872), A Pair of Blue Eyes(1873) Far from the Madding Crowd(1874), The Hand of Ethelbreta (1876), The Return of the Native (1878). The Trumpet-Major(1880) A Laodicean (1881), Two on a Tower(1882), The Mayor of Casterbridge(1886), The Woodlanders (1887). Tess of the d'Urbervilles(1891) The Well-Beloved(1892), Jude the Obscure 1895)).
Seine über 40 Kurzgeschichten sind gesammelt in Wessex Tales (1888), A Group of Noble Dames (1891), Life's Little Ironies(1881) und A Changed Man(1913).
Die acht Gedichtsammlungen sind Wessex Poems (1898), Poems of Past and Present (1902), Time's Laughingstocks (1909), Satires of Circumstance (1914), Moments of Vision (1917), Late lyrics and Earlier (1922), Human Shows (1925), Winter Words (1928) sowie eine posthume Sammlung Collected Poems (1930).
Es gibt viele Bücher über Thomas Hardy: Biographien, Bibliographien, literaturwissenschaftliche Abhandlungen, annotierte Studienausgaben und vieles mehr. Die hier genannten Bücher dienen nur als Einstieg in die verschiedenen Forschungsbereiche.
BAILEY, J.O. The Poetry of Thomas Hardy. A Handbook and Commentary. Chapel Hill: U ofNorth Carolina P, 1970.
DRABBLE, Margaret (ed.). The Oxford Companion to English Literature. Oxford: Oxford UP,1985.
ENSTICE, Andrew. Thomas Hardy:Landscapes of the Mind. London: Macmillan, 1979.
KAY-ROBINSON, Denys. The Landscape of Thomas Hardy. Photographs by Simon MCBRIDE. Exeter: Webb & Bower, 1984.
SAXELBY, F. Outwin. A Thomas Hardy Dictionary. New York: Humanities Press, 1962.
Englische Ausgaben von Thomas Hardys Romanen sind bei den gängigen Taschenbuchverlagen günstig erhältlich (Penguin, Wordsworth etc.). Deutsche Übersetzungen sind bei dtv, Reclam und dem Aufbau-Verlag erschienen. Neben den im Text erwähnten ist Clyms Heimkehr (engl.: The Return of the Native) erschienen sowie verschiedene Kurzgeschichten- und Gedichtsammlungen.
[1]: Weydon Priors ist Hardys Name für Weyhill bei Andover. dort findet regelmäßig ein bedeutender Viehmarkt statt.
[2]: Erste Strophe von ģIn Front of the LandscapeĢ, aus Lyrics andReveries. Die Übersetzung ist von mir