von Markus Stanzel
Lassen Sie sich faszinieren, von diesen unbekannten
unterirdischen Gängen, deren Herkunft und Nutzen
nach wie vor ungeklärt ist.
Unterirdische kleine Kammern, enge verwinkelte Gänge, mal rauf,
mal runter, mal hin, mal her - so kann man sie sich vorstellen, die Alraunenlöcher,
Erdschradhäuserl, Erdmännleinslöcher oder eben die Schratzelhöhlen
und Erdställe, wie man sie nennt.
Anzutreffen sind diese in den Ländern Dänemark, Großbritannien,
Spanien, Mähren, und besonders zahlreich treten sie in Frankreich,
Österreich und (Süd-)Deutschland auf.
Im vergangenen Jahrhundert wiesen die Forscher die Erdställe dem kultischen
Bereich zu, sprachen von Totengruften, aber auch von Resten altheidnischer
Tempel. Sie wurden verglichen mit den römischen Katakomben, jenen
unterirdischen labyrinthartigen Gängen in Italien, zum Zweck des Versteckens,
des Lebens und als Platz der letzten Ruhe. So sind die Katakomben auch
heute noch vorzufinden, und man sieht ihnen ihren Entstehungsgrund noch
deutlich genug an. Ähnlichkeiten sollten die Erdställe mit Grabstätten
in Kleinasien und Ägypten haben; von einem Kult der Erdmutter wurde
gesprochen. Zufluchtsstätten im Krieg. Winterquartiere und Vorratskammern
aus germanischer Zeit sollten sie sein; man dachte an Versteckplätze
für Schätze (Edelmetalle, diverser Hausrat, Pflugscharen) oder
an Abbauorte für Bodenschätze. Von Pilzzuchtstätten über
Kulthöhlen des "Totenglaubens" bis hin zu Wohnstätten
für die Geister der Verstorbenen (sog. Kenotaphe) wird gesprochen.
Für die heutige Erdstallforschung haben sich eigentlich nur zwei Thesen durchgesetzt, die wahrscheinlich sein könnten:
"Kein Erdsrall gleicht dem anderen, trotzdem sind alle gleich". Dieser Satz sagt schon sehr viel aus. Es gibt immer nur einen Zugang, der des öfteren künstlich bei Grabungs- bzw. Fundarbeiten entstand. Man gelangt von engen Gängen - in denen man höchstens gebückt laufen kann - in kleine Kammem. Diese Kammern haben ihren Zugang seitlich, von oben oder direkt von unten, haben eine Größe von 1 qm bis selten mehr als 4 qm. In den Gängen, in denen man sich nicht selten nur auf allen Vieren fortbewegen kann, gibt es Durchschlupflöcher von manchmal weniger als 40 cm Durchmesser und 1 m Länge. Diese Schlupflöcher, die in Deutschland enger als in Frankreich sind, verlaufen sehr oft auch vertikal. Sind mehrere dieser Schlupfe hintereinander, erschwert dies die Belüftung erheblich, zudem ist Kohlendioxid schwerer als Sauerstoff. Wenn so wie hier die Luftzirkulation gleich Null ist, haben schon viele Erdstallforscher bei einer Begehung es mit erheblichen Atemproblemen zu tun bekommen. Die größten Schwierigkeiten bereiten selbst schlanken Menschen abgewinkelte Schlupflöcher, wo ein Durchkommen nur noch mit größter Mühe und gutem Geschick möglich ist.
Ein Beispiel:
Man muß sich auf den Rücken legen, in den 40 cm hohen waagerechten
ersten Teil des Schlupfes hineinarbeiten, bis man in den senkrechten 110
cm hohen und 45 cm im Durchmesser messenden hohen Schlupfaufsteigt. Zurück
geht es genau verkehrtherum. Es existieren auch Schlupfröhren, die
nicht aus eigener Kraft bewältigt werden können. In den Gängen,
welche eine nach oben spitz zulaufende Bogenform haben, gibt es in den
Wänden manchmal sog. Tast- oder Lichtnischen, die eine 10-15 cm hohe
Auskuhlung darstellen, einige davon sind verrußt. An vielen dieser
Nischen lassen sich aber keine Brandspuren erkennen. Zweifelsfrei bewiesen
ist jedoch weder die Interpretation als Tastnische, noch die als Lichtnische.
Zeitweise sind einige Schratzelgangteile überflutet, zumeist nach starken Regenperioden. Was danach übrig bleibt, sind sehr schmierige Gänge, die die Begehung oder die "Nutzung" erheblich erschweren. Manche Erdställe sind auf den sich ändernden Wasserstand abgestimmt worden, und einige Gangteile dienen gezielt als Wasserab- oder Durchleitung.
Aufgrund der engen Gänge und Schlupflöcher müßte man annehmen, daß die Erbauer früher erheblich kleiner waren als heute, alte Skelettfunde beweisen aber, daß dies nicht wesentlich der Fall war.
Erdställe
findet man bei einzeln stehenden Gehöften, Bauernhäusern, manchmal
auch in größeren Dörfern. Einige tauchen auch abseits jeglicher
(jetziger) menschlicher Zivilisation in Wald, Feld und Flur auf. Jedoch
ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, daß ein Erdstall
bei Kanalarbeiten oder beim Vergrößern des Kellers, bei einem
Anbau in den Berghang oder bei Aushubarbeiten gefunden wird, als daß
zufällig mitten im Wald ein Erdstall einbricht. Denn diesen Einbruch
müßte jemand entdecken, der ihn als Einbruch erkennt. Dann könnte
es von oben gesehen immer noch eine natürliche Felsspalte oder eine
Doline sein, über der das Erdreich nachgegeben hat. Hat der Entdecker
ihn als Erdstall identifiziert, insofern er sich im klaren bzw. überhaupt
bewußt war, was ein solcher ist, muß er es jemanden mitteilen,
der dies wüßte oder sich direkt mit dem Thema beschäftigt.
Diese Entdeckungsform ist, wie die Realität zeigt, sehr selten.
Was sind Erdställe?
Mit was könnte man sie vergleichen?
Alle Erdställe machen den Eindruck, sie seien kaum benutzt worden, meist sieht man die Hauspuren noch - ein Grab läßt man ruhen.
Um Erdställe herum gibt es Sagen über Zwerge, Erdschrade, die tagsüber in den Höhlen wohnen und des Nachts hervortreten, um Arbeit zu verrichten, für die sie entlohnt werden wollen. Geschieht dies nicht, tun sie Böses. Auch gibt es Geschichten, die die Zwerge als Seelen der Toten betrachten, die nicht endgültig ruhen und in den Erdmännlein- oder Zwergenlöchern wohnen und dort ihr Unwesen treiben.